ALMA & OSKAR

Musik von und um
Alma Mahler, Oskar Kokoschka, Alban Berg und Johann Sebastian Bach

22. November 2025, 18 Uhr, Maria-Magdalenenkirche Reinbek

Karten zu 20 € (ermäßigt 15 €) an der Abendkasse und im Vorverkauf bei eventim-light.de


23. November 2025, 18 Uhr, Christuskirche Hannover

Karten zu 12 € (ermäßigt 10 €) an der Abendkasse und im Vorverkauf der HMTM



Johann Rudolph Ahle 

Es ist genug


Johann Sebastian Bach 

O Ewigkeit, du Donnerwort


Alma Mahler-Werfel (Arr. Jorma Panula)

Fünf Lieder


Alban Berg (Arr. Frank Löhr)

Violinkonzert


Sannah Raemisch, Mezzosopran

Hagen Philipps, Tenor

Tobias Meyer-Frerichs, Bariton


Eszter Kruchió, Violine (22. November)

Enzo Kok, Violine (23. November)


Studierende der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover

Hamburger Camerata


Leitung:  Frank Löhr und Studierende der HMTM Hannover



In einem elfteiligen Lithographie-Zyklus über Bachs Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort verarbeitet Oskar Kokoschka seine obsessive und emotional eskalative Beziehung zu Alma Mahler. Zwanzig Jahre später widmet Alban Berg sein Violinkonzert „dem Andenken eines Engels“ – gemeint ist Manon Gropius, die 18jährig verstorbene Tochter Almas – und zitiert in diesem Werk dieselbe Bach-Kantate.

 

Das beziehungsreiche Programm der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover eröffnet eine ungewöhnliche Perspektive auf die Lebenswelten Alma Mahler-Werfels und einiger weiterer herausragenden Persönlichkeiten der Wiener Kulturszene des frühen 20. Jahrhunderts und ihren überraschenden gemeinsamen Rückbezug auf Bachs zeitlose Musik. Es spürt den Verbindungen zwischen den verschiedenen Werken und ihrem Ausdrucksspektrum nach und macht sie erlebbar.

J. S. Bach:
O Ewigkeit, du Donnerwort

Bachs Kantate BWV 60 entstand 1723 als Teil seines ersten Leipziger Kantatenzyklus. Sie nimmt im Eingangssatz Bezug auf den gleichnamigen Choral von Johann Schop und verwendet als Schlusssatz den Choral "Es ist genug" von Johann Rudolph Ahle, den Bach als Nachfolger Ahles in Mühlhausen kennenlernte.

Alban Berg: Violinkonzert

Alban Bergs Violinkonzert zählt zu den bedeutendsten Werken der Musikliteratur. Mit seiner Deutung der Zwölftontechnik entfernt er sich von seinem Lehrer und Vorbild Schönberg und etabliert eine neue Richtung in der musikalischen Avantgarde. "Im Andenken eines Engels" (gemeint ist  Alma Mahlers Tochter Manon Gropius) zitiert Berg den Schlusschoral aus der Bachkantate Nr. 60.

Alma Mahler: Fünf Lieder

Alma Schindler war in ihrer Jugend Kompositionsschülerin von Alexander Zemlinsky. Gustav Mahler verband mit der Ehe die Bedingung, dass Alma ihre kompositorische Ambition aufgab. Erst 1909 änderte er seine Meinung und setzte sich für die Veröffentlichung ihrer Fünf Lieder aus dem Jahr 1901 ein.

In seiner obsessiven Fixierung auf Alma Mahler wurde diese zu Kokoschkas häufigstem Motiv. Durch den befreundeten Pianisten Leo Kestenberg lernte Kokoschka Bachs Kantate kennen, die ihn zu einem expressiven Lithographie-Zyklus über Furcht, Tod und Hoffnung inspirierte. Durch seine Arbeit hieran verarbeitete und bewältigte Kokoschka seine Beziehung zu Alma Mahler und die Abtreibung des gemeinsamen ungeborenen Kindes.

1662 – Musikalische Revolution in vier Tönen


Johann Rudolph Ahle wurde 1654 Organist an der Hauptkirche St. Divini Blasii in Mühlhausen. Ab 1660 schrieb er zahlreiche geistliche Arien, häufig in Zusammenarbeit mit dem Kirchendichter Franz Joachim Burmeister. 1662 entstand ein sechsstimmiger Motettensatz „Es ist genug“, der später Eingang in die Choraltradition Mühlhausens hatte. Der Beginn des Choralsatzes weist in der Choralmelodie einen Gang über drei Ganztonschritte aus, der in der Entstehungszeit unerhört gewesen sein dürfte und sich im Kontext der zeitgenössischen Musiktheorie nur als rhetorische Figur zur Darstellung des Übergangs vom Leben in den Tod erklären lässt.


Nach Ahles Tod 1673 wurde sein Sohn Johann Georg Organist in Mühlhausen. Dieser verstarb im Dezember 1706. Nachfolger wurde mit Dienstantritt am Ostergottesdienst 1707 der damals 23jährige Johann Sebastian Bach.



1723 – Dialog der Affekte


Nach weiteren Stationen in Weimar und Köthen trat Bach im Jahr 1723 sein neues Amt als Thomaskantor in Leipzig an, zu dessen Aufgaben die Komposition und Aufführung von Kantaten gehörte. Bereits im ersten Jahr schrieb er zum 24. Sonntag nach Trinitatis die Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“, die am 7. November 1723 uraufgeführt wurde.


Der Bibeltext zu diesem Sonntag waren die Verse 18 bis 26 aus dem 9. Kapitel des Matthäusevangeliums und handelt von Jesu Auferweckung der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus. Diese Episode ist, mit Abweichungen, auch im Markus- und Lukasevangelium überliefert und verweist neben der Wundertat an sich auf die Überwindung des Todes und schließlich allgemein die Auferstehung vom Tod. Der unbekannte Textdichter von Bachs Kantate thematisiert allerdings nicht die Auferstehung, sondern widmet sich dem Schrecken des nahenden Todes und der christlichen Hoffnung auf die Erlösung. Hierfür lässt er die Furcht (Alt-Solo) und die Hoffnung (Tenor-Solo) in den Mittelsätzen einen allegorischen Dialog sprechen, den die Vox Christi (Bass) mit Worten aus der Offenbarung kommentiert (Selig sind die Toten), die an die Bergpredigt anknüpfen (Kokoschka sieht hierin den Heiligen Geist).

Der Dialog in Form zweier Rezitative und eines Duetts ist eingebettet zwischen die Choräle „O Ewigkeit, du Donnerwort“ (Melodie: Johann Schop, Text: Johannes Rist, 1642) und „Es ist genung“ (Melodie: Johann Rudolph Ahle, Text: Franz Joachim Burmeister, 1662 „über die Sehnworte des Elias“), den Bach in Mühlhausen kennenlernte.


Die Bach-Rezeption der Zeit nach 1750 nahm die verschiedenen Gattungen sehr ungleich wahr. In den ersten Jahren nach seinem Tod erfuhr der Thomaskantor eine angemessene Wertschätzung hauptsächlich durch seine Klaviermusik, insbesondere das Wohltemperierte Klavier, die Goldbergvariationen, die größeren Orgelwerke und einige Kantaten, die durch Abschriften oder Drucke in Archiven und Bibliotheken zugänglich waren. Baron van Swieten hielt eine Abschrift der H-Moll-Messe in Ehren und machte Mozart wahrscheinlich damit bekannt. Letzterer war auch voll des Lobes über Bachs Motetten, die er wahrscheinlich in Leipzig hörte. Beethoven kannte das Wohltemperierte Klavier auswendig, seine Beschäftigung mit den Goldbergvariationen ist eindeutig. Eine umfangreiche Rezeption der geistlichen Werke Bachs begann jedoch erst mit Mendelssohns Wiederaufführung der Matthäuspassion 1829. Das Kantatenwerk Bachs wurde erst nach und nach gefunden und bekannt, zahlreiche Kantaten müssen nach wie vor bis heute als verschollen angesehen werden. Mit dem Bach-Jahr 1850 begann erstmals der Versuch einer Gesamtausgabe der damals verfügbaren Werke Bachs.



1879 – Die Wiener Moderne und ihre Muse


Über den Verbleib des autographen Stimmensatz von „O Ewigkeit, du Donnerwort“ nach Bachs Tod ist zunächst nichts bekannt, seit 1800 war er in Privatbesitz, 1851 gelangte er an die Königliche Bibliothek zu Berlin. Erstmals herausgegeben wurde sie 1863 durch Wilhelm Rust. Ca. 1890 erschien ein Klavierauszug von Bernhard Todt, in dessen Form der deutsch-israelische Pianist Leo Kestenberg die Kantate seinem Freund Oskar Kokoschka seinem Freund in den 1910er Jahren vorspielte.


1879 wurde Alma Margaretha Schindler in Wien geboren. Sie wuchs in einem kunst- und musikaffinen Elternhaus auf, hatte Kontakt zu Gustav Klimt, der der 17jährigen den Hof machte und lernte Klavier und studierte Komposition bei Alexander Zemlinsky, der sich ebenfalls in sie verliebte. 1902 heiratete sie den Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler, der ihr zunächst das Komponieren verbot, da es aus seiner Sicht der Komponistengattin nicht gemäß schien. Erst 1910, als die Ehe nach mehreren Schicksalsschlägen kriselte und Alma eine Affäre mit Walter Gropius hatte, setzte er sich für eine Veröffentlichung von Kompositionen Almas ein: Fünf Lieder nach Texten von Dehmel, Hartleben, Bierbaum, Rilke und Heine.


Im Jahr nach Gustav Mahlers Tod lernte Alma den Maler und Schriftsteller Oskar Kokoschka kennen, der in der Wiener Kunstszene seit der Aufführung seines Dramas „Mörder, Hoffnung der Frauen“ als „enfant terrible“ galt. Aus der Bekanntschaft entwickelte sich eine zügellose, leidenschaftliche Beziehung. 



1912 – Leidenschaft und Verlust


Knapp drei Jahre lang währte die wechselhafte und intensive Beziehung zwischen Oskar und Alma, während dieser Zeit der Maler nahezu obsessiv auf seine Geliebte fixiert war. Traumatisch für Oskar Kokoschka war die Entscheidung Alma Mahlers, ihre Schwangerschaft abzubrechen. Kokoschkas Schmerz hierüber währte, ebenso wie seine Liebe zu Alma, seinen Äußerungen gemäß lebenslang. In den 11 Kantaten-Lithographien versuchte Kokoschka die komplizierte Beziehung zu Alma Mahler zu verarbeiten und den Schmerz über die Abtreibung zu bewältigen. Sie sind Doppelportraits von Alma und Oskar, die, in allenfalls losem Zusammenhang mit Bachs Musik, als Darstellung des menschlichen Daseins bzw. Psychogramm der verletzten Seele Grundstimmungen von Furcht, Verzweiflung und Hoffnung aufnehmen und in eine expressive Bildersprache übersetzen. Vor dem Hintergrund des verlorenen Kindes sind Bildelemente wie kleine Gesichter (in der Art von Kinderzeichnungen), Totenköpfe und das Symbol des Adlers zu verstehen.



1935 – Dem Andenken eines Engels


1915 trennte sich Alma Mahler endgültig von Oskar Kokoschka und heiratete Walter Gropius. Im Oktober 1916 kam deren gemeinsame Tochter Manon zur Welt. Die Ehe mit Gropius hielt nicht lange, das Paar ließ sich bereits 1920 scheiden. Manon muss gemäß der Zeitzeugen eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit sehr besonderer Ausstrahlung und künstlerischer Begabung gewesen sein. Dass ihre Mutter sie „wie ein Schaustück“ präsentierte, hätte es wohl nicht bedurft. Durch Almas Betreiben kam kam Manon früh in Kontakt mit den einschlägigen Kreisen der Wiener Kultur und Politik.


Als Manon 18jährig an den Folgen einer Kinderlähmung verstarb, wurde ihre Beerdigung zu einem gesellschaftlichen Ereignis. Alban Berg, dessen Frau Helene mit Alma Mahler eng befreundet war, widmete sein gerade in Auftrag gegebenes Violinkonzert „dem Andenken eines Engels“, womit Manon gemeint war, und unterbrach für diese Arbeit seine Komposition an der Oper Lulu. Das Violinkonzert ist zwölftönig gearbeitet, nutzt aber auch zahlreiche Zitate (z. B. eine Kärntner Volksweise) und folkloristische Anspielungen (ein „wienerisches“ Thema), die auf Manon verweisen und sie musikalisch porträtieren.


Alban Berg hatte sich künstlerisch bereits von der sehr strengen Auslegung der Zwölftontechnik seines Lehrers Arnold Schönberg emanzipiert. Er setzte Mittel ein, die die auf eine freie Atonalität zielende Kompositionsweise mit traditionellen Akkordbeziehungen „versöhnte“. Charakteristisch für diese Vorgehensweise ist eine Zwölfton-Reihe, die auf Dreiklängen beruht. Die Tonfolge ergibt abwechselnd Dur- und Moll-Dreiklänge und beinhaltet komplementär zwei übermäßige und einen verminderten Dreiklang. Übrig bleiben drei Töne, die mit dem letzten Dreiklangston eine aufsteigende Linie von drei Ganztonschritten bilden:

Wahrscheinlich ursprünglich zufälligerweise entsprachen diese vier Töne dem Anfang einer Choralmelodie, die Berg bei der Durchsicht einer Sammlung von Bach-Chorälen aufgefallen war, dem Schlusschoral „Es ist genug“ aus der Kantate BWV 60. Diese Koinzidenz nutzte Berg, um der Widmungsträgerin Manon auch in einem spirituellen Sinn ein Denkmal in seinem Violinkonzert zu setzen.


Kannte Berg die Arbeit Kokoschkas über Manons Mutter aus dem Jahr 1913 über dieselbe Bach-Kantate? Es ist bei der engen Freundschaft Alma Mahler-Werfels und Helene Bergs nicht plausibel, dass das niemandem aufgefallen sein sollte. Kannte Oskar Kokoschka bzw. Alban Berg die liturgische Bestimmung der Kantate zur Auferweckung der Tochter des Jairus? Es gibt keine Hinweise dazu.